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Europa in der Warteschleife – Putins Zeitfenster und die Trägheit demokratischer Selbstverteidigung

Ein Leitartikel von Ike Aaren für JCMI Europe

Seit Januar 2025 ist Europas Sicherheitsordnung ins Wanken geraten. Mit der Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus, dem schrittweisen Rückzug der USA aus der militärischen Unterstützung für die Ukraine und der zunehmenden Aggression Russlands hat sich ein geopolitisches Vakuum gebildet – genau in dem Moment, in dem Europa seine strategische Eigenständigkeit erst mühsam aufbaut.

Putin erkennt diese Lücke. Und er testet sie – durch Angriffe auf die Ukraine, durch hybride Bedrohungen in der EU und durch wachsenden Druck entlang der NATO-Außengrenzen.

Januar bis Mai 2025: Fünf Monate strategischer Erosion

  • Januar: Donald Trump wird erneut US-Präsident. Die Unterstützung der Ukraine wird zunächst ausgesetzt, dann auf unbestimmte Zeit eingefroren. Der Ton gegenüber Europa wird rauer.
  • Februar: Ein Gipfel zwischen den USA und Russland findet in Saudi-Arabien statt – ohne Beteiligung der Ukraine. Europa reagiert irritiert, Kiew ist empört.
  • März–April: Russische Luftangriffe intensivieren sich. Energieinfrastruktur im Westen der Ukraine wird gezielt angegriffen – nur wenige Dutzend Kilometer vor der polnischen Grenze.
    Gleichzeitig kommt es in der Ostsee zu GPS-Störungen und verdächtigen Aktivitäten russischer Schattenflottentanker in internationalen Gewässern.
  • Mai:
    • Am 19. Mai telefoniert Trump über zwei Stunden mit Putin. Danach folgt ein überraschender diplomatischer Vorstoß: Der Vatikan soll Friedensgespräche vermitteln – ohne konkrete Vorbedingungen für Moskau.
    • In Südfrankreich bricht in Cannes und Nizza großflächig der Strom aus – offenbar infolge gezielter Sabotageakte.
    • Russland testet Reaktionen auf Grenzverletzungen mit Aufklärungsdrohnen nahe Litauen und Finnland.

Russlands strategisches Zeitfenster – jetzt oder nie

Putin erkennt, dass die westliche Abschreckungskraft bröckelt – und dass Europa Zeit braucht, um militärisch autonom zu werden. Er weiß:

  1. Die USA halten sich unter Trump zunehmend heraus.
  2. Die EU hat keine einsatzfähige Verteidigungsstruktur, keinen zentralen Krisenstab, kein operatives Kommando.
  3. Die Gesellschaften Europas sind kriegsmüde und in vielen Staaten politisch gespalten.

Das macht die kommenden 12–18 Monate gefährlich:

Ein Zeitraum, in dem Moskau gezielt Schwächen austesten – oder sogar Eskalationen provozieren könnte, etwa in der Ostsee, in Moldawien oder am Suwałki-Korridor.

Was jetzt mindestens geschehen muss:

1. Sofortige Maßnahmen (30 Tage Zeithorizont):

  • NATO-Marinepräsenz in der Ostsee aufstocken – rund um Gotland, Kaliningrad, Suwałki.
  • Schutz von Kraftwerken, Umspannwerken, Datenzentren und Seeinfrastruktur als „kritische Verteidigungspunkte“ einstufen.
  • Volle Umsetzung des 17. EU-Sanktionspakets – ohne politische Verwässerung oder Verzögerung.
  • Aufbau eines EU-weiten Frühwarnsystems für hybride Sabotageakte (analog zu EAS/NATO ARTEMIS).

2. Mittelfristige Maßnahmen (bis Jahresende):

  • Aufbau einer schnellen europäischen Eingreiftruppe (30.000+ einsatzbereite Kräfte).
  • Ein zentralisiertes europäisches Luftabwehrsystem mit einheitlichem Datenverbund.
  • Verbindliche Produktionsziele für Munition, Luftabwehr, Drohnen und Reparaturlogistik.

Was ideal, aber schwer realisierbar wäre:

  • Ein europäischer Verteidigungsrat mit Entscheidungsbefugnis für sicherheitsrelevante Krisenlagen.
  • Teilweise Militarisierung kritischer Infrastrukturbetreiber – mit Integration in Zivilschutzübungen.
  • Verstärkte Cyber- und Desinformationsresilienz – mit koordinierter Medienstrategie auf EU-Ebene.

Trägheit als strategische Schwäche – Putins Kalkül

Putin kennt Europas demokratische Langsamkeit.

Er weiß, dass:

  • jedes sicherheitspolitische Vorhaben durch nationale Parlamente,
  • durch langwierige Ausschüsse,
  • und durch öffentlichkeitswirksame Debatten muss.

Russland plant nicht auf Jahre – sondern auf Gelegenheiten.

Und die sind jetzt. Während Europa noch definiert, wie es heißen soll, wenn es sich verteidigt.

Fazit: Keine Zeit mehr für Bürokratie – es zählt nur noch Handlungsfähigkeit

Europa braucht kein Feindbild, aber eine klare Verteidigungslinie.

Es braucht keine Militarisierung, aber eine Abschreckung, die sichtbar, fähig und glaubwürdig ist.

Denn in einer Welt, in der weder Washington noch Ankara derzeit garantieren, dass sie an Europas Seite stehen, ist das eigene Handeln die einzige Sicherheit, die bleibt.

JCMI Europe | Ike Aaren – unterwegs für Klarheit, Gegenwart und Verantwortung.